30.12.2010
Eine Ära geht zu Ende
Nach 40 Jahren Vorstandsarbeit im Turnverein Eschersheim will Hubert Handrow den Staffelstab des Vorsitzenden an einen Jüngeren weitergeben. Was bleibt, ist die Erinnerung – an eine Zeit, in der er anderen nicht immer bequem war.
Es gibt ein Zitat, das sich Hubert Handrow im Laufe seiner Zeit beim Turnverein Eschersheim zu Herzen genommen hat. Es stammt von Turnvater Jahn; er soll einmal gesagt haben: «Wer nie einer edlen Sache diente, dessen Leben ist bedeutungslos.» An Handrow hätte er seine Freude gehabt. Denn der 78-Jährige hat mehr als die Hälfte seines Lebens – 40 Jahre – im Vorstand den Turnverein Eschersheim vorangebracht. Nun zieht er einen Schlussstrich. Im kommenden Jahr wird er nicht mehr kandidieren.
Hubert Handrow sitzt im Geschäftsstellenbüro im Vereinsheim. Schön warm ist es hier, er zieht seine Mütze vom schlohweißen Haar und lässt den Blick streifen. Nach seiner Pension hat er 15 Stunden pro Woche an diesem Eichentisch verbracht, Ordner gewälzt, Anträge abgeheftet. Was man eben so macht als Vorsitzender. «Ich werde es vermissen», sagt er mit seiner tiefen Stimme, in der noch ganz leicht der Zungenschlag seiner thüringischen Heimat zu hören ist.
Die Frage des Warums drängt sich auf. Handrow überlegt lang, bevor er eine Antwort gibt. «Ist es Amtsmüdigkeit nach all der Zeit? Wahrscheinlich. Und die Einsicht, dass Jüngere in den Vorstand müssen, damit der Verein lebendig bleibt. «Wenn man so lang die Geschicke eines Vereins leitet wie ich, dann ist man irgendwann nicht mehr offen für neue Entwicklungen. Man reagiert nicht schnell genug auf Trendsportarten, ja, man bleibt immer im selben Trott. Und das», er streift die goldrote Vereinsfahne über der Sitzgruppe, «ist das letzte, was eine Sportgemeinschaft braucht.»
Ebenso wenig, davon ist der scheidende Vorsitzende überzeugt, braucht sie einen Vorstand, der sich anbiedert. Handrow hebt die rechte Hand, bewegt sie in Wellenbewegungen auf und ab. «Man kann sich wie ein Bandwurm an den Problemen vorbei schlängeln oder eine klare Linie verfolgen. Letzteres habe ich immer getan. Und manchmal bin ich damit angeeckt», sagt er. Zum Beispiel, wenn die Kündigung eines Mitgliedes nicht fristgerecht oder in falscher Form im Briefkasten der Geschäftsstelle lag und er sie nicht anerkannt hat. «Die Vereinssatzung gibt klare Regeln, über die wurde abgestimmt und an die müssen sich alle halten.»
In diesem Punkt ist Handrow streng mit seinen Sportlern. Er hat viele Jahre als Rechtspfleger am Oberlandesgericht gearbeitet, kennt sich aus mit dem Gesetz. Im Regal reihen sich die Vereinsrechtbücher; vielen Frankfurter Sportgemeinschaften hat er schon juristischen Beistand geleistet. Ein «Richter Gnadenlos» des Turnvereins Eschersheim? Wohl kaum. «Ich setze die Satzung durch, aber lasse auch mit mir reden, wenn beispielsweise jemand seine Beiträge nicht pünktlich zahlen kann.»
Einen großen Traum hat Hubert Handrow: Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes durch Bundespräsident Wulff. Das wäre der glorreiche Abschluss seiner jahrelangen Ordenssammlung. In seinem Haus in Eschersheim stapeln sich die Auszeichnungen: Sportplaketten für hervorragende Leistungen im Prellball, Ehrennadeln der Stadt für all das, was er in 40 Jahren im Vorstand geleistet hat. «Diese Ehrungen bedeuten mir viel», sagt Handrow. «Es ist eine besondere Art zu zeigen, dass meine Arbeit anerkannt und gewürdigt wird.»
Bis April ist Hubert Handrow noch Vorsitzender, dann wird die Mitgliederversammlung einen Nachfolger für ihn und den Kassenwart wählen, der sich ebenfalls nicht mehr zur Wahl stellt. Einen Nachfolger hat er aber noch nicht gefunden; eigentlich sollte sein Sohn das Amt übernehmen. Der hat aber zurückgezogen – sein Beruf lässt das arbeitsintensive Amt nicht zu. Handrow versteht, akzeptiert das. Traurig ist er trotzdem.
«Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wie es so schön heißt», sagt Handrow. «Ich habe hier eine wunderbare Zeit verbracht – auch als Turner und Prellballspieler. Aber nun freue ich mich darauf, mehr Zeit zu haben. Zum Beispiel für meine Enkelin. Die ist auch im Verein – sie turnt für ihr Leben gern.»
Für seinen Nachfolger hat Handrow einen Rat zur Hand – ein weiteres Zitat neben dem von Turnvater Jahn, das für ihn immer von Bedeutung war. Von Friedrich dem Großen stammt der Satz: «Ich bin der erste Diener meines Staates.» In gewisser Weise, sagt Handrow und lächelt, gilt das auch für einen Vorsitzenden und seinen Verein.
Von Julia Rösch

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