01.07.2015
Lehrer „aus Zufall“ geht in Pension
Nach 25 Jahren ist für Schulleiter Erhard Claudy an der Ludwig-Richter-Schule Schluss. Zum Ende des Schuldienstes geht er in den Ruhestand. Oder besser gesagt Unruhestand – langweilig wird es ihm wohl nicht. Zumal er sich noch einen großen Traum erfüllen möchte: einmal einen Fuß auf den australischen Kontinent zu setzen.
Wirklich Zeit, an seinen Abschied zu denken, hatte Erhard Claudy in den vergangenen Wochen noch nicht. Viel zu sehr ist er mit den Vorbereitungen für das kommende Schuljahr an der Grund- und Hauptschule beschäftigt. Obwohl dann nicht mehr er, sondern sein Nachfolger auf seinem Stuhl im ersten Stock der Ludwig-Richter-Schule Platz nehmen wird. Denn Claudy geht Ende des Schuljahres in den Ruhestand – nach einem Vierteljahrhundert als Schulleiter. Ein halbes Jahr später als zunächst geplant. „Ich bringe Dinge gerne zu Ende, deswegen auch das Schuljahr“, sagt der 65-Jährige.
Lieblingstiere
Auch auf Claudys Schreibtisch sieht es nicht nach Abschied aus – im Gegenteil. Links stapeln sich die Papiere. Auf der anderen Seite hat der baldige Pensionär einige Flusspferde positioniert – seine Lieblingstiere. Die Ruhe der Dickhäuter ist es, die ihn beeindruckt. Und schon beginnt Claudy zu erzählen, von seiner Reise nach Kenia und der Safari zum Mara-River. Nur die Buckel habe man von den mächtigen Tieren aus dem Flusswasser ragen sehen. Ab und zu würden sie sich bewegen, mehr aber auch nicht. „Flusspferde sind nachtaktiv, deswegen durften wir die Lodge nicht verlassen. Das wäre viel zu gefährlich gewesen“, erzählt er.
Es sind genau solche Geschichten, mit denen Claudy auch seine Schüler fesselt. Ein Lehrbuch braucht der Schulleiter oft gar nicht, um den Kindern Wissen zu vermitteln. Wichtig für ihn ist, dass seine Schüler mit Spaß und Freude lernen. An seinen Lehrmethoden etwas geändert hat er deswegen nicht. „Ich bleibe meinen Prinzipien treu“, sagt er. So kann es schon mal vorkommen, dass seine Vertretungsstunden auf dem Mond beginnen und im Dschungel enden. Und die Kinder verwundert sind, wie schnell doch eine Schulstunde vergehen kann. „Die Kinder von heute sind noch genauso begeisterungsfähig wie früher. Allerdings fällt es ihnen schwerer, sich zu konzentrieren. Nicht verwunderlich, bei den ganzen Reizeinflüssen von außen. Kinder kennen heute keine Langeweile mehr.“
Lehrer aus Zufall
Es ist ein schöner Zufall, vielleicht aber auch Schicksal, dass Erhard Claudy an der Tafel und nicht wie lange geplant in einer Polizeiuniform Karriere machte. Während seines Wehrdienstes – er arbeitete dort als Funker – unterrichtete er andere Soldaten. „Als Belohnung gab es einen Ausgangsschein – eine Stunde früher durfte ich gehen. Das habe ich natürlich gerne gemacht und zugleich gemerkt, wie viel Spaß mir das Unterrichten macht“, erinnert er sich. In Gießen studierte Claudy Erdkunde und Sozialkunde, für sein Lieblingsfach Geschichte fehlten ihm die nötigen Latein- und Französischkenntnisse. Das Studium „habe ich schnell durchgezogen“, nach sechs Semestern legte er seine Prüfungen ab. Um sein Referendariat in Riedelbach im Taunus zu absolvieren. Dann wurde er nach Frankfurt versetzt, arbeitete an der Engelbert-Humperdinck-Schule im Westend. Als kommissarischer Schulleiter verschlug es ihn schließlich nach Eschersheim – bereut hat er diesen Schritt bis heute nicht.
Denn Erhard Claudy fühlt sich an der Ludwig-Richter-Schule pudelwohl. Man merkt bei jedem Wort, bei jedem Satz: Dieser Lehrer liebt seinen Job. Für ihn sind es die Schüler, die im Mittelpunkt stehen. Zu dieser Leidenschaft passt auch der Sportunterricht der Erstklässler – für Claudy eine „echte Erholungsstunde“. Zumal das Unterrichten als Schulleiter sonst „leider Nebensache“ sei. „Ich sitze deutlich mehr am Schreibtisch als früher“, bedauert der 65-Jährige und erinnert sich dann an einen seiner persönlichen Höhepunkte. 2006 war es, als Mitarbeiter der Deutschen Bahn binnen drei Tagen den Schulhof neu gestalteten und ein Klettergerüst bauten. „Das war für uns eine wahnsinnige Erleichterung, alleine das Material kostete 70 000 Euro“, erinnert er sich.
Zum Abschied wünscht sich Erhard Claudy keine großen Worte. Eine kleine Feier wird es geben, er hat ein Lokal gemietet. „Ich brauche keine großen Reden“, bleibt er bescheiden. Und was kommt nach der Ludwig-Richter-Schule? Langeweile? Sicher nicht, sagt Claudy. Sein Garten und sein Hund warten auf ihn. Und natürlich seine Lebensgefährtin. Mit ihr will er die Ecken der Welt erkunden, die er noch nicht kennt. „Einmal einen Fuß auf den australischen Kontinent setzen. Das ist ein Traum.“ Zudem will er seinem Nachfolger seine Hilfe anbieten. Denn so ganz loslassen – das kann Erhard Claudy auch nach 25 Jahren noch nicht.
Artikel Frankfurter Neue Presse vom 01.07.2015. Von Judith Dietermann

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